Drei – nein, viermal Theater!

 

22.10.14

Wunderbare Talheim-Inszenierung am Deutschen Theater: Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“!

Geschichten

Großartige Schauspieler, ein überzeugendes Regiekonzept. Lediglich Stühle und ein langer Tisch – das ganz Bühnenbild. Im ersten Teil am hinteren Bühnenrand und nach einer wohlplazierten Fahrt der Drehbühne, im zweiten dann am vorderen.

Später, ein langanhaltender Konfettiregen, von vorne beleuchtet, wirkte wie strahlender Schnee und wurde zum Ereignis.

Die besondere, teils wienerische Atmosphäre, die unterschwellige Spannung, wie ein leicht, aber dauerhaft erhöhter Atem, erreicht das subtile, hintergründige, nur schwach hörbare Dauertremolo des Anfangsakkords des Donauwalzers.

Schon die „Ouvertüre“ des Abends ließ den Zuschauer in eine gelungene, glaubhafte, aber in ihrer Überdehnung auch zwiespältige Stimmung gleiten.

Unter den absichtlich zu lauten, teils übersteuerten Klängen des Donauwalzers, begleitet von einem Crescendo des Saal-Lichts, des zunehmend, fast feurig leuchtenden riesigen Kronleuchters, versetzte dieser viele Minuten dauernde Vorgang das Publikum in eine festartige Stimmung – als wären wir jetzt auf dem Opernball.

Eine Inszenierung, der Bedeutung des Hauses, das ja einst auch das Uraufführungstheater dieses Stücks war, mehr als würdig.

Es waren wunderbare zwei Stunden, alle Akteure passend und glaubwürdig besetzt.

Einziger kleiner Kritikpunkt, dieser insgesamt sehr schönen Theatervorstellung, gilt der an sich recht komischen Slapstik-Einlage Oskars. Er versucht, unter größtmöglichen Verrenkungen und umständlichsten Verhedderns, ein Bonbon-Päckchen aus seiner Sakko-Tasche hervorzuziehen um es Marianne zu überreichen. Dies zog sich, für meinen Geschmack, dann doch etwas zu lang hin. Zumal die Rückführung des dann angebrochenen Päckchens in die Tasche gleich-ausführlich zelebriert wurde.

Anyway, der Ausgang war heiter!

Kleine Geschmacklosigkeit einer reiferen Dame in der ersten Parkettreihe: während des nachgerade opulenten Bildes, Marianne als – verdungene – Tänzerin, das seine atemberaubende und vom Publikum mit hörbarem Seufzen der Überwältigung quittierten Wirkung dem perfekt ausgeleuchteten Konfettiregen verdankte, im Moment, da sie ihren Busen, als Zeichen des völligen Ausgeliefertseins an die ihren Idealen feindlichen Umstände (die doch mitunter so lustvoll daher kommen können), entblößte, zückte jene Dame, frei von allen Skrupeln, ihr Handy und schoss ein Foto. Niemand protestierte!

Na, ein Glück, dass das kein Mann tat…

 

23.10.14

Ich bin hingerissen! „Mutter Courage“ im BE.

Courage

Die Jahre, die ich dieses Haus nicht mehr besuchte mag ich gar nicht zurückrechnen.

Damals war es „Der Kontrabaß“ von Patrick Süßkind mit dem grandiosen Peter Bause.

Heute also Brecht. (Das letzte Mal ist noch länger her.) Diese ganze Inszenierung Peymanns ist durchwebt von einer einheitliche Atmosphäre, einem einheitlichen Klang. Das Bühnenbild ist anscheinend eine Referenz an das ursprüngliche, Brecht´sche (eigentlich H.Kilger).

Der Wagen (natürlich, was sonst), die Scheibe, die die eigentliche Spielfläche ist und am Ende sich nicht als Drehbühne erweist.

Überragende Schauspieler, zu allererst Carmen Maja Antoni als Mutter Courage, gleichauf, in ihrer Stummheit, die Tochter Kattrin, deren aufopfernder Heldenmut eine ganze Stadt rettet; die in den Konflikt gerät, das Leben der wenigen, die um sie sind, zu gefährden, um die vielen unbekannten Leben in der Stadt durch ihr trommelschlagendes Alarmieren zu wecken.

Dieses Stück beschreibt die schicksalhafte Ausweglosigkeit, in die der Mensch gefesselt ist und der, ob moralisch handelnd oder nicht, immer schuldig wird und dem nicht entkommt. Vielleicht ist die stumme Kattrin die einzige, die dem Status des Unschuldigseins am nächsten bleibt.

Alle versuchen durchzukommen, irgendwie. Selbst, wo eine Entscheidung möglich zu sein scheint, erweist sie sich als Täuschung.

Den Brüdern wird eine Karriere im Krieg eröffnet. Eilif, zum Kriegshelden avanciert, bezahlt die Fortsetzung seiner, im Krieg ehrenvollen und Ruhm bringenden Handlungsweise, im Frieden aber als ein Verbrechen geltend und zu bestrafen, mit seinem Leben.

Sein Bruder Schweizerkas trifft es ebenfalls nicht besser. Seine Gewissenhaftigkeit und Lauterkeit, die Kasse des in panischer Auflösung verschwindenden Regiments an sich zu nehmen um sie zu retten und bei Gelegenheit zurückzugeben, bringt auch ihm kein Glück.. Gieriger Räuber, die einst seine Kameraden waren, sind hinter ihm her. Im Besitz der Kasse, wird er zur attraktiven Beute.

Sehr passend und für die unwirklich-wirkliche, gespielte und doch wahre Atmosphäre des Stücks war die Musik, von jungen Musikern auf wechselnden Klarinetten, Violine, Klavier, Gitarre und etwas Schlagwerk live gespielt, verstärkte das Erlebnis der Unmittelbarkeit.

Theater ist – im Gegensatz zum Film – wirkliches Leben.

Es gab, abgesehen von der stummen Kattrin, keinen wirklich guten und auch keinen wirklich schlechten Charakter (von den absoluten Gaunern des Kriegs einmal abgesehen). Selbst der Pfarrer, der es nur unter Verdrängung bis hin zur Verleugnung seines protestantischen Glaubens schaffte, die Wirren des Krieges zu überstehen und der hernach in „alter Größe“ und Ornat wieder „aufersteht“, verliert seine Menschlichkeit nie. Im Gegenteil, ist er sich doch der Ambivalenz seiner Existenz voll bewußt, als er in seelischer Not den unerwartet, nach Kriegsende eintreffenden Koch, der seinen Platz einfordert, diesen bittet, ihn nicht von dem seinen zu verdrängen. Nein, er weiß um die Zwiespältigkeit seines Daseins und ist gerade darum eine von Brecht und/oder Peymann ernstgenommen Figur.

So auch die Szene bei den Bauern, sie beteten innbrünstig und nötigten auch der Kattrin zu beten ab, um darin nur ihre ganze Hilfslosigkeit zu zeigen. Und der Mensch ist hilflos! Kattrin aber erhob sich aus der Hilflosigkeit, stieg auf das Dach des Hauses und trommelte und rettete damit die vielen und zahlte selbst mit dem höchsten Preis.

Gott entbindet nicht davon zu handeln, Entscheidungen zum Handeln zu treffen. („Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!“, auch wenn das kein Bibelvers ist.)

Was macht Brecht zum Klassiker? Allgemeine, jeden Einzelnen angehende grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz behandelt er auf zeitlose, in den Mitteln sparsame Weise. Seine Figuren sind modellhaft, gerade so leer oder ungefüllt, dass ein Jeder sich selbst hineindenkend sich gänzlich darin wiedererkennen kann. Tief bewegt ging ich aus dem Theater.

 

25.10.14

Das geschieht selten!

Krug

An zwei aufeinanderfolgenden Abenden gab das Berliner Ensemble Kleist´s „Zerbrochenen Krug“ mit Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Richter Adam – und ich bin an beiden Abenden dabeigewesen, habe beide Abende erlebt. Ja, das wollte ich mir wirklich nicht entgehen lassen! Einen fulminanten und wirklich komischen Brandauer und, am ersten Abend mit seiner tiefen, sonoren Stimme geradezu ideal besetzt, Martin Seifert als Gerichtsrat Walter, dem der heutige Roman Kaminski schauspielerisch nicht nachstand – jedoch diese Stimme….!

Großartig auch Tina Engel als Marthe Rull, die immer ausgezeichnet zu verstehen war (dies als einzige kritische Anmerkung). Dieses urkomische und doch, wie ich finde, versteckt bitterböse Stück war hier in einer Inszenierung Peter Stein´s zu erleben und bot vor allem eines: Lust am Theaterspiel und Lust, dem zuzuschauen, das mitzuerleben.

Also, an vier Abenden in dieser Woche Theater: Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“ am Deutschen Theater, „Mutter Courage“ und eben zweimal aufeinanderfolgend, den „Zerbrochenen Krug“ im Theater am Schiffbauerdamm. Letzteres für mich als eine Wieder- , eigentlich Neuentdeckung, und vielleicht ist es jetzt mein Lieblingstheater hier in Berlin. Insbesondere habe ich mit der „Mutter Courage“ einen Abend von seltener Intensität und Tiefe erlebt. Dem Mangel an sehenswerten Kinofilmen sei Dank. In der Vorwoche hatte mich der m. E. missglückte Fatih-Akin-Film „The Cut“ von weiteren Kinobesuchen Abstand nehmen lassen, so dass ich fast zwangsweise auf das Theater verfiel. Und ich muss sagen, an Lebendigkeit und vor allem Unmittelbarkeit und Atmosphäre, die Sinne erhebend und nicht vernebelnd und die Gewißheit schenkend, wertvoll gelebte Zeit genossen zu haben, ist das Theater dem Film, erst recht einem abendlichen Beriesel-Fernsehen hundertfach, nein, tausendfach überlegen.

Leute, geht ins Theater!

P.S. Martin Seifert: kann man staatstragende Würde besser darstellen, in Überhöhung, Karikatur und Glaubwürdigkeit zugleich?

T h e a t e r , T h e a t e r …!

 

Und dann unbedingt das noch:

 

Flugschrift69

Flugschrift69 1

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